Welt – Japan (2006)
Sonnenaufgang am Fuji-san
Was für Japaner in Deutschland das Schloss Neuschwanstein, das ist vielleicht der Fujiyama oder, wie die Japaner sagen, Fuji-san für Deutsche in Japan: eine Art Wahrzeichen. In der Tat ist der Fuji-san mit 3776 m nicht nur der höchste Berg Japans, sondern auch seit jeher ein heiliger Berg. Seine charakteristische Kegelform, die meist schneebedeckte Gipfelregion und die Tatsache, dass er ein Vulkan ist, lassen gar keine andere Vermutung zu. Der letzte Ausbruch erfolgte übrigens erst im Jahr 1707.
Für die japanischen Buddhisten gilt er als Tor zur anderen Welt. Der „Goraiko“, der am Gipfel erlebte Sonnenaufgang, ist ein kultisches Ereignis, das jedes Jahr viele Japaner erleben wollen.
Nur im Juli und August ist das Wetter gut und der Boden trocken genug, um eine Besteigung zu ermöglichen. Vom Bahnhof Shinjuku in Tokyo fahren an diesem Wochenende Anfang August gleich fünf Busse direkt bis zur sogenannten 5. Station an der Subaru-Route. Anders als in den Alpen sind die Hütten und Unterkünfte am Fuji-san nicht mit wohlklingenden Namen bedacht, sondern – typisch japanisch – durchnummeriert. Allerdings gibt es neben einer Reihe weiterer 5. Stationen an anderen Routen auch mindestens eine „Neue 5. Station“, um die Verwirrung noch ein wenig zu vergrößern.
Unsere 5. Station ist weniger eine Hütte, sondern vielmehr ein kleines Dorf, bestehend aus mehreren Souvenirläden, Restaurants, Hotels und einem großen Parkplatz, das alles auf ca. 2300 m Höhe. Dennoch ist die Stimmung sehr schön, die Preise sind nicht höher als in der Stadt, und die Menschenmenge hält sich in Grenzen. Wir haben uns entschlossen, abends gegen halb zehn aufzubrechen, um rechtzeitig zum Sonnenaufgang um zehn vor fünf oben zu sein. Damit ist die Nachtruhe erledigt. Wir wähnen uns unter den wenigen Touristen, die diese Anstrengung auf sich nehmen, und freuen uns auf eine ruhige und stimmungsvolle Wanderung.
Simply the best
„Mt. Fuji is the best mountain in Japan!“ sagt diese Tortenverpackung in einem der Souvenirläden. Also nicht nur der schönste oder der höchste, sondern ganz einfach der beste. Na dann ….
So wenig Wanderer wie vermutet sind es allerdings nicht. Auf den ersten 500 Höhenmetern bis zur 7. Station auf dem „Yoshida“-Trail geht man auf einem 2 bis 3 Meter breiten Bergweg aus Vulkanasche. Die obligatorischen Kopflampen beleuchten immer nur den Quadratmeter direkt vor den eigenen Füßen, von der Landschaft sieht man nichts.
Morgens um vier, auf der 7. Station, wird uns klar, auf was wir uns eingelassen haben: Von nun an werden wir auf den nächsten 600 Höhenmetern vor jeder Station ca. 45 Minuten im Stau stehen – alle halbe Minute ein Schritt. Wir sind umgeben von unglaublichen Massen von Japanern, der Weg wird enger, es gibt Abschnitte, auf denen man klettern muss, und nicht nur das: In den Herbergen an der 7. und 8. Station haben viele Wanderer, Schulklassen usw. übernachtet, die am Vortag mit dem Aufstieg begonnen haben und ausgerechnet jetzt alle aufstehen und sich auf den Weg machen. Unser Ziel, den Sonnenaufgang direkt am Gipfel zu erleben, geben wir langsam auf ….
Etwas unterhalb des Gipfels ist es schließlich soweit: Wer noch kann, wandert weiter, und wer genug hat, setzt sich einfach neben den Weg und wartet. Auf dem Bild sieht man links im Hintergrund die 9. Station.
Unmittelbar vor dem Sonnenaufgang beginnt sich der Himmel zu färben. Man erwartet die Sonne, das Flaggensymbol Japans! Auch das japanische Kaiserhaus soll direkt von der Sonnengöttin Amaterasu Ōmikami abstammen, die uns gleich einen Besuch abstatten wird.
Die Sonne geht auf
Irgendwann erscheint am Horizont die erste schmale Sichel. Mit bloßem Auge ist zu erkennen, wie sie immer größer wird. Bald beginnen die Luftschichten des Dunstmeeres, das Japan im August bedeckt, die Form der Scheibe zu verzerren.
Doch sie schafft es. Am Ende strahlt sie als Scheibe und lässt die Dunstschicht unter sich.
Inzwischen hat sich die Sonne ganz über das Dunstmeer erhoben, welches nun in Silberglanz erstrahlt. Ein neuer Tag bricht an – aber noch warten 310 Höhenmeter auf die müden Wanderer.
Endlich wird es wärmer. Obwohl es in dieser Höhe im August nicht mehr friert, sind alle, die auf den Nachtschlaf verzichtet haben, dankbar für die Strahlen der Sonne. Auf dem Bild sieht man ganz schwach unter dem Dunsthorizont einige Gipfel der umliegenden Berge. Keiner ist allerdings auch nur annähernd so hoch wie der Fuji-san persönlich.
Auf dem Gipfel und zurück
Eine Stunde blieb zum Erkunden des touristisch komplett erschlossenen Gipfelkraters. Viele nutzen die Zeit zum Herumwandern, andere aber auch zum Schlafen, einfach irgendwo auf dem Boden.
Danach geht es schließlich wieder hinunter, immer noch auf dem „Yoshida“-Trail, aber nun auf der absteigenden Route, die als Einbahnstraße nur bergab führt und wesentlich breiter ist. Die Menschenmassen drängen sich bei weitem nicht mehr so wie auf dem Hinweg, aber dafür beginnt sich der feine Lavastaub, der bei den Schritten aufgewirbelt wird, langsam überall auszubreiten. Viele Japaner binden sich Handtücher vor das Gesicht, aber wir freuen uns einfach auf das Bad in einem Onsen, einer heißen Quelle, wenn wir wieder unten sind.
Ein Blick zurück. Insgesamt dauert der Weg hinab ca. vier Stunden. Am Ende tun alle Knochen weh, insbesondere die in den Knieen. Dazu die durchwachte Nacht, aber ein Erlebnis war es allemal!
Der Fuji-san verabschiedet sich. Am Ende haben alle Japaner, die wir gefragt haben, gesagt, dass es ganz toll war. Keiner allerdings würde wieder hochgehen …. Mal sehen, irgendwo müssen ja auch im nächsten Jahr die Massen wieder herkommen!
Dank an Steve Mulski für einige der Bilder!